JOHN CONSTABLE. Maler der Natur, 12.03.-03.07.2011, Staatsgalerie, Stuttgart

John Constable: Heuwagen (originalgroße Ölstudie)

John Constable: „Heuwagen“ (originalgroße Ölstudie), 1821, Öl auf Leinwand
© Victoria and Albert Museum London

Nach einem Vortrag über Kunst der Renaissance in einer Stuttgarter Bildungseinrichtung vor zwei, drei Jahren kam eine ältere Dame nach vorne und fragte die Dozentin, ob sie nicht „auch mal was über Kunst machen [könne], wie man sie heute so hat, zum Beispiel Impressionismus“. Dass vielen diese Kunst der Klassischen Moderne so (übermächtig) gegenwärtig ist, hängt natürlich ganz eng mit unserer politischen Geschichte zusammen, denn nach dem Ende eines Unterdrückungsapparates, der alles nicht-historistische als entartet brandmarkte, wurden die Wertschätzung des angeblich Entarteten zum Ausdruck einer freien, weltoffenen Kunstbetrachtung und die Klassische Moderne beim Publikum zum Maß der Dinge. Das ist wohl als Grund anzusehen, wenn wir Deutschen etwas zögerlicher darin sind, die offizielle Kunst des 19. Jahrhunderts, etwas dem sich die Impressionisten entgegenstellten, wieder zu entdecken, während es in anderen Ländern bereits zu großen Ausstellungen von William Bouguereau oder Albert Bierstadt kam.

Die Staatsgalerie Stuttgart hat sich in den letzten Jahren mit Siebenmeilenstiefeln aufgemacht, an diese Entwicklung anzuschließen. Und was unter von Holst mit einem zaghaften Bouguereau als Gegenthese in der Monet-Ausstellung (2006) begann, wurde von Rainbird mit „Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei“ (2007) und „Edward Burne-Jones. Das irdische Paradies“ (2009–2010) weitergeführt. Als nächsten Schritt auf dieser langen Straße zeigt die Staatsgalerie ab heute Werke des englischen Landschaftsmalers John Constable unter dem Titel „Maler der Natur“ (12.03.–03.07.2011).

Man könnte nun freilich der Meinung verfallen, ein deutsches Museum würde von einem Künstler wie John Constable (1776–1837) unter den 58 Ölgemälden deshalb überwiegend Ölskizzen ausstellen, weil diese durch ihre flüchtige Malweise den späteren Impressionisten so ähnlich scheinen. Schon über andere Künstler habe ich auf diese Weise den Versuch gehört, eine verzweifelt gesuchte Modernität herbeizureden. Es ist ein Fehlschluss unserer Zeit, zu glauben, man könnte die Entwürfe des einen Malers aus dem 19. Jahrhundert mit den fertigen Werken eines anderen vergleichen. Interessant ist, dass die Lage bei Constable aber eine ganz andere ist, denn er setzt sich in zweifacher Weise von der vorherrschenden Malerei seiner Zeit ab. Zunächst wählt er, wie sein Zeitgenosse Caspar David Friedrich – allerdings ohne dessen intellektuelle Aufladung – mit der Landschaft einen in der Hierarchie der Gattungen sehr gering geschätzten Bildgegenstand. Dann entwickelt er für seine Werke eine sehr flüchtige Malweise, die ihn – den meisten Malern seiner Zeit voraus – tatsächlich zu einem Vorreiter der Impressionisten macht. Die Ausstellung in der Staatsgalerie zeigt das in eindrücklicher Weise.

Diese Constable-Ausstellung wurde zunächst im Victoria & Albert Museum London gezeigt, wo sie von Mark Evans zusammengestellt wurde. Der Stuttgarter Kurator Dr. Christofer Conrad ergänzte für die hiesige Ausstellung jedoch einige abgeschlossene Werke aus der Nationalgalerie in Berlin und der Royal Academy London, um sie den Skizzen gegenüber zu stellen. Die Skizzen sind dabei, wie er erläutert, ideal für den Zugang zu Constables Werk. Die Gegenüberstellung der originalgroßen Ölskizze von „Das springende Pferd“ sowie jener von „Das Haus des Admirals in Hampstead“ mit den jeweiligen fertigen Werken zeigt ganz deutlich die Nähe der Skizzen zu den fertigen Werken: Constable überträgt seinen lockeren Pinselstrich, den pastosen Farbauftrag und die flüchtige Malweise in sein Endprodukt. Freilich arbeitet er beispielsweise durch Weißhöhungen weiter aus, jedoch verbleiben beispielsweise die Gesichter von Staffagefiguren und Reiter im „Springenden Pferd“ bloße Andeutungen. Ganz ähnlich kann man die Motiventwicklung zwischen zwei Ölstudien von „Willy Lotts Haus bei der Mühle in Flatford“ hin zu der originalgroßen Ölskizze für den „Heuwagen“ beobachten. Im „Haus des Admirals“ führt Constable tatsächlich nur das Gebäude und seine unmittelbare Bildumgebung detailliert aus, während er andere Teile – und vor allem den in der damaligen Zeit in der Regel sauber ausgeführten Vordergrund, der auf der Ölskizze gar nicht zu sehen ist, – nur malerisch andeutet.

Die Ölstudien und Aquarelle zeigen eine genaue Beobachtung der Natur vor allem in ihren Licht- und Wetterphänomenen, von deren späterer Umsetzung sich auch Eugène Delacroix beeindruckt zeigte. Damit wurde Constable zum begeisternden Studienobjekt für die Maler der Schule von Barbizon, Édouard Manet und Jean-Baptist-Camille Corot, von dem auch einige Werke in einer kleinen ergänzenden Kabinettausstellung mit dem Titel „Constable und die Folgen“ in den Räumen 8 A, B zu sehen sind.

Diese mehr als 170 Jahre nach Constables Tod überhaupt erste Ausstellung in Deutschland zeigt die Entwicklung hin zu seinem Malstil von der „Lehrzeit 1800–1809“ bis zum „letzten Jahrzehnt“ in Abschnitten, die nach den Orten von Constables Schaffen gegliedert sind. Der Besucher kann dabei sowohl frühe Versuche im Stile Claude Lorrains („Tal des Flusses Stour“) als auch späte, teils romantisch dramatisierte Aquarelle sehen („Stoke-by-Nayland, Suffolk“). Ein Katalog zur Ausstellung ist beim Hatje Cantz Verlag erschienen und enthält 129 Abbildungen auf 160 Seiten mit Texten von Christofer Conrad und Mark Evans (ISBN: 978-3-7757-2990-1 Pick It! – 29,80 €).

Die vielleicht lange Zögerlichen, nun jedoch Schnellentschlossenen seien noch darauf hingewiesen, dass in der Staatsgalerie noch bis zum 20.03.2011 die Ausstellung Hans Holbein d. Ä. Die Graue Passion in ihrer Zeit zu sehen ist. Schon wegen der herausragenden Stiche von Martin Schongauer und Albrecht Dürer ist deren Besuch dringend zu empfehlen. Eintrittskarten zu Hans Holbein d. Ä. gewähren freien Eintritt zu John Constable.

Ein Gedanke zu „JOHN CONSTABLE. Maler der Natur, 12.03.-03.07.2011, Staatsgalerie, Stuttgart

  • 14. März 2011 um 09:39 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank fürs Näherbringen.
    Auch ich bin Opfer des Honoratioren-Impressionismus´ und habe schon die Burne-Jones-Austellung verwundert-begeistert wahrgenommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.