MARTIN SONNEBORN, 15.12.2010, Schocken, Stuttgart

Martin Sonneborn, Schocken

Foto: Steffen Schmid

Arschkalt ist es draußen vor dem Schocken. Drinnen hingegen ist gemütlich bestuhlt, sogar mit kleinen Ablagetischchen zwischen den Sitzen. Schließlich ist Wahlkampf angesagt. Fehlen nur noch die Schnittchen. Potenzielle Wähler wollen schließlich umsorgt werden. Diesmal kommt kein Abgesandter der etablierten Parteien. Diesmal wird einem nicht der Einheitswahlbrei serviert, der es einem sonst oft schwer macht zwischen rot und schwarz zu unterscheiden oder zwischen links und rechts. Diesmal redet einer Klartext. Martin Sonneborn, ehemals Chefredakteur des Satiremagazins Titanic, ist gekommen, um von der geplanten Machtergreifung seiner (O-Ton) „kleinen obskuren schmierigen PARTEI“ zu berichten. Das Publikum wird mit auf eine Leinwand projizierten Titanic-Covern und Fotos von Auftritten der PARTEI auf den Großmeister eingestimmt. Auch wir müssen schon heftig lachen und verschlucken uns das ein oder andere Mal fast an unseren Longdrinks, beispielsweise bei einem Foto Angela Merkels mit dem Titel „Kohls Mädchen packt aus: Ich musste ihn Kanzler nennen“. Ein echter Klassiker.

Auf diese Weise schon ein wenig warmgelacht begrüßt das Publikum dann auch mit einem herzlichen Applaus Martin Sonneborn. Der nimmt an einem kleinen, mit ein paar Blumen spärlich dekorierten Tisch hinter seinem Laptop Platz. Wie immer trägt er seinen mausgrauen Billiganzug samt dazugehöriger roter Krawatte. Schick ist das nicht, aber schließlich ist er ja auch in seiner Funktion als Politiker hier. Und Gerhard Schröder heißt er auch nicht. Daraus, dass der Abend eine einzige Wahlkampfveranstaltung für seine Partei wird, macht das Medienphänomen Sonneborn keinen Hehl. Politik hat er von der Pieke auf gelernt. Nach seinem Studium der Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaften machte er sich einen Namen als Chefredakteur beim heutigen Zentralorgan seiner Partei, dem Satiremagazin Titanic.

Sonneborn liest erstmal ein wenig aus seinem Parteiprogramm und erzählt, wie er den politischen Erfolg von langer Hand vorbereitet hat. Reihenweise zog er völlig ungefragt und politisch absolut inkorrekt für diverse etablierte Parteien in den Wahlkampf. Kann man ja mal machen, vor allem wenn man deren Mitglied ist. Und Mitglied ist Herr Sonneborn in sehr vielen Parteien. So trat er beispielsweise nach einem Disput zwischen FDP-Urgestein Jürgen W. Möllemann (Gott hab ihn selig) und dem Journalisten Michael Friedmann im thüringischen Eisenach mit angeblichen Werbeslogans der Liberalen auf. „Deutsche wehrt Euch. Wählt FDP.“ war da zu lesen und das war noch einer der harmloseren. Für die Sozialdemokraten warb er mit Slogans wie „Dabei sein ist alles“ oder „Wir verlieren mit Anstand.“ Kritiker könnten meinen, Sonneborn ziehe die Politik in den Dreck. Muss er aber gar nicht, das macht die schon selbst.

Um dem Ganzen endlich einen Riegel vorzuschieben, hat er dann ganz einfach seine eigene Partei, mit dem griffigen Namen „Die PARTEI“, gegründet. Zeigt gleich mal den Alleinherrschaftsanspruch. Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass sich Sonneborn und seine Kollegen wahnwitzige Forderungen auf die Fahne geschrieben haben. Die Wichtigste: Die Mauer muss wieder her. Polarisiert. Aber sowas braucht man ja im Wahlkampf. Sonneborn berichtet von Anekdoten, die er und seine Parteifreunde erlebt haben. Beispielsweise wie sie sich bei der georgischen Oppositionspartei selbst eingeladen haben (durch einen „Übertragungsfehler“ dachten die, die PARTEI habe schon mehrere Sitze im Bundestag und sei somit wichtig), sinnlose Verträge unterzeichneten um sich dann anschließend ins Koma zu saufen. Sonneborn ist nicht gerade der charismatischste Redner, aber mein Gott – er ist Politiker. Er lebt von und durch seine Taten und die sind höllisch amüsant und wahnsinnig dreist. Gern bringt er auch auf die ein oder andere Art geistig Minderbemittelte dazu, sich durch unüberlegte Äußerungen selbst bloß zu stellen. Quasi wie Michael Moore, nur ohne den Gutmenschen-Ansatz und viel sinnloser. Oft ist Fremdscham angesagt, aber irgendwie steht man ja drauf. Und auch das Publikum ist sichtlich amüsiert. Das ein oder andere Mal müssen wir uns vor Lachen eine Träne wegwischen. Und da sind wir nicht die einzigen.

Im Anschluss gibt es noch eine kleine Fragerunde. Studenten müssen ihn dabei mit Herr Magister ansprechen und tun das auch artig. Sonneborn steht gut gelaunt Rede und Antwort während das Publikum sichtlich begeistert ist von der Interaktion mit dem sympathischen Spitzenpolitiker. Hinterher zeigt Sonneborn noch ein paar Propagandafilme seiner Partei, bevor die Veranstaltung beendet ist. Für Fotos mit seinen Fans hat er aber natürlich auch noch Zeit. Als Politiker muss man sich ja volksnah geben und zeigen, dass man die Bodenhaftung nicht verloren hat. Ein Erfolg auf ganzer Linie, diese Wahlkampfveranstaltung der PARTEI. Meine Stimme haben sie. Vorausgesetzt man kann sie dann auch wieder wählen. Dafür streitet die oft als Spaßpartei verunglimpfte PARTEI derzeit vor Gericht. Ein wenig zu bunt sollen sie es getrieben haben, als sie beispielsweise ihre TV-Spots mit Schleichwerbung vollgepackt haben, die nicht mehr geschlichen, sondern einem strammen Fußes direkt ins Gesicht marschiert ist. Sollte die PARTEI aus mir völlig unverständlichen und undemokratischen Gründen weiterhin von Wahlen ausgeschlossen bleiben, bleibt mir nur zu fragen: „Where is my vote, Wahlleiter?“.

Martin Sonneborn, Schocken

Foto: Steffen Schmid

2 Gedanken zu „MARTIN SONNEBORN, 15.12.2010, Schocken, Stuttgart

  • 17. Dezember 2010 um 20:06 Uhr
    Permalink

    superwitziger Abend war das, extrem dicht, man weiß gar nicht was man da alles noch hätte reinpacken können. Glaub, ihm hat’s auch gefallen, in „Dings“…

  • 17. Dezember 2010 um 20:15 Uhr
    Permalink

    „Zabergäu?“

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