MARILLION, DEEP PURPLE, 30.11.2010, Schleyerhalle, Stuttgart

Deep Purple

Foto: Sue Real

Tiefe 80er, sechste Klasse an einem mit strafversetzen Lehrern gefüllten Gymnasium, Kumpel Ali raunt mir Ungeheuerliches zu: „Mein Nachbar hat einen CD-Player.“ Als ob das nicht Sensation genug wäre. „Gibst mir ’ne Kassette, am besten eine Maxell XL-IIS, dann nimmt er dir Perfect Strangers auf.“
Von diesem Nostalgiefaktor mal abgesehen, verbietet sich eine allzu billige Vorab-Veriss-Haltung schon alleine dadurch, weil der Besuch eines Deep Purple Konzerts für die Indiepolizei ungefähr so cool ist, wie die eigene Mutter als Begleitung zum ersten Date mit einer Frau mitzunehmen. Pluspunkt für DP!

Auf der Hinfahrt in der U11 denke ich noch „Wow, doch jüngeres Publikum als erwartet“, aber das sind Leutchen fürs Gossip-Konzert, nebenan in der Porsche-Arena. Die Schleyerhalle ist gut gefüllt, wäre aber wahrscheinlich immer noch zu groß dimensioniert für einen Auftritt von Elvis gemeinsam mit Michael Jackson.

Marillion

Foto: Sue Real

Marillion gefielen mir eine bestimmte Phase meines Lebens lang ganz gut. Progrock war mein Ding, und zu Marillion hieß es immer, die klängen nach Genesis, und zwar den guten Genesis, als Peter Gabriel noch sang. Letzteres übrigens eine der pophistorischen Top-Banalitäten ala „Pink Floyd taugt nur mit Syd Barret“, oder „Softmachine, nur die Platten mit Robert Wyatt kaufen“. Ist ja auch alles nicht so falsch.
Zurück zu Marillion, mein Bezugspunkt sind noch die Fish-Zeiten, Incommunicado und so. Die Steve Hogarth Äre ist mir unbekannt geblieben.
Punkt 20 Uhr legen die fünf Mannen los, mit einem überraschend düsteren, komplexen und langem Stück. Progrock. Der Sound ist für Schleyerhallenverhältnisse sehr gut, um die Lightshow wäre manch großer Headliner froh, die Mannecken können spielen. Das Set schwankt zwischen den progigeren Sachen, die mir gut gefallen (Slainte Mhath z.B.), und den kommerzielleren Songs, die mir dann schon wieder zu glatt nach Balladenrock klingen. Bei letzteren Stücken ist Hogarths Stimme dann aber auch sehr Pathos beladen.
Ein Song kommt sogar in Van Halens Jump-Gewand daher, oder für die Jüngeren: in Goldfrapps Rocket-Gewand. Der auf keinem 80er Hitsampler fehlende Megahit Kayleigh wird natürlich gespielt, ist aber auch ein schöner Song, gibt’s nix.
Nach einer Stunde ist es rum, und bei mir bleibt das Gefühl, dass Marillion, sollten sie den Weg komplexerer Musik wählen, in Würde altern können. Der Mainstreamanzug steht ihnen nicht so gut.

Deep Purple also. Klar, Classic Rock Alarm, „Da-da-daaa, da-da-da-daaa usw.“, und wirklich Relevantes auch schon länger nicht mehr veröffentlicht. Aber vergessen sollte man nicht wie wichtig und wie groß ihre Alben Anfang der 70er waren. Auch ihr Comeback-Album Perfect Strangers mit dem immer noch tollen Titelsong war beachtlich. Das nachfolgende House Of The Blue Light gehört hingegen immer noch zu den meistgehassten CDs meiner Sammlung.

Blackmore ist schon lange nicht mehr dabei, Jon Lord mittlerweile auch schon paar Jährchen. Schade, da die Beiden natürlich den Sound entscheidend geprägt haben, aber der Ersatz ist natürlich allererste Sahne. Don Airey, Tastenman bei allem was Rang und Namen in der britischen Hardrockszene hat: Rainbow, Black Sabbath, Whitesnake, Ozzy Osbourne, Judas Priest. Nuff said.

Steve Morse war mir schon zu meiner Gitarrenfuddler-Phase ein Begriff. Ein Stück namens Tumeni Notes sorgte damals für leuchtende Augen und Ohren bei mir. Dem Mann muss wirklich niemand erzählen was man auf der Gitarre alles so machen kann.

Highway Star ist der Eröffnungssong, tolles Stück, formidable Soloduelle, fettes Licht. Durch das Gitarrensolo musste wohl jeder Gitarrenschüler dieser Welt durch, mich inklusive. Lässt sich ja gut an. Die Befürchtung, ein paar Rentner, Roger Glover feiert heute seinen 65ten Geburtstag, würden hier stocksteif und peinlich altes Material runterrattern, verflüchtigt sich gleich mal. Ian Gillan kämpft zwar ein wenig mit dem Stück, aber am Ende gewinnt er den Kampf. Auf den Leinwänden neben den Bühnen gibt’s Livebilder der Musiker und Schlagzeilen des Jahres 1972 zu sehen. Rührend irgendwie.

Strange Kind Of Woman ist ein weiterer Urhit, der Song mit dem zweitberühmtesten E7#9 nach Hendrix‘ Purple Haze. Von den neueren Stücken, also für mich nach dem House Of The Blue Light Album, gefällt mir Rapture Of The Deep am besten. In der Tradition von Stücken wie Perfect Strangers oder Rainbows Gates Of Babylon, sprich, episch, schwer und orientalisch. Sowas hat mir schon immer gefallen, muss wohl irgendwelche Phönizier in meinem Stammbaum haben.

Für mich überraschend werden auch Stücke des Fireball Albums gespielt, wie der schnelle Titeltrack und No One Came. Toll gesungen mit sehr tollem Gitarrensolo: When A Blind Man Cries.
Es gibt immer wieder diverse Soloeinlagen, die zum Glück aber null nerven, da sowohl Don Airey als auch Steve Morse eben so ziemlich alles an Stilen drauf haben. Rasend schnelle klassische Arpeggien, Blues, Mr. Airey spielt in seinem Solo sogar mal das Intro von Mr. Crowley an, gibt dann plötzlich eine Art Keith Emerson, um dann mal kurz Auf der schwäbische Eisebahne anzuspielen. Wow!
Dass Steve Morse ein Ausnahmekönner ist, war mir klar. Dass er so gut ist nicht.

Deep Purple

Foto: Sue Real

Natürlich sind auch die Eckpfeiler eines jeden Deep Purple Programms wie Lazy samt Ian Gillans Mundharmonika oder Space Trucking mit Drumeinlage des immer noch tollen Ian Paice dabei. Überraschungsfreie Momente, aber fehlen dürfen sie auch nicht, das wäre nicht Recht. Der Höhepunkt für mich ist das epische Perfect Strangers (hab die Kassette immer noch).

Der berühmte Song…na der eine da…genau, der mit dem Rauch über dem Wasser, und wo jeder schon mal Luftgitarre dazu gespielt hat…der kommt natürlich auch, aber nicht wie erwartet als Zugabe, sondern als letztes Stück des regulären Sets, welches nach genau 90 Minuten beendet ist.

Naaa-nanana, Hush ist die erste Zugabe. Eh einer meiner Lieblingssongs, nanana, parapapa oder sowas geht immer. Black Night ist dann der würdige Abschluss einer sehr würdevollen Veranstaltung.
Live, da geht bei Deep Purple noch einiges, Respekt!

Deep Purple

Marillion

5 Gedanken zu „MARILLION, DEEP PURPLE, 30.11.2010, Schleyerhalle, Stuttgart

  • 2. Dezember 2010 um 10:14 Uhr
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    Marillions „Garden Party“ habe ich sogar noch heute im Ohr und finde das ziemlich großartig, ich als Elektroheiner…

  • 2. Dezember 2010 um 10:24 Uhr
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    Ich zermürbe mir gerade das Hirn, wer dieser ominöse Nachbar mit dem CD-Player war. Henrik vielleicht?

  • 2. Dezember 2010 um 16:48 Uhr
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    Komisch, jeder behauptet von sich auf einem Gymnasium voller strafversetzter Lehrer gewesen zu sein…
    Ich übrigens auch! ;-)

  • 2. Dezember 2010 um 21:06 Uhr
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    Guter Bericht, schöne Details!
    Ich ging wegen bzw. mit meinem Sohn (Schüler!) hin, der sich mit seinen Kumpels „unsere“ Musik zu eigen macht – eigentlich ein Unding. Ich wollte es ihm schon verbieten weil er doch viel zu jung für so ein altes Zeugs ist… zwecklos! Und meine Intention: Deep Purple, DIE Gruppe aus meiner Sturm-und-Drang-Zeit, hab ich damals nie live erlebt, dann muss man doch mal hin, so lange es die alten Herren noch gibt. Eigentlich bin ich mittlerweile eher auf Klassik und Jazz. Aber was da an Live-Performance zu erleben war hat alle meine Erwartungen bei weitem gesprengt… einfach hin- und mitreißend! Keineswegs Krach und Haudrauf, sondern durchaus einiges an Virtuosität, klasse Timing, vielfältige Improvisationen, saubere Lightshow und ununterbrochen tierischer Drive! Und mein Junger? Für ihn der wohl größte Abend seines (bisherigen) Lebens! Einfach Toll!

  • 3. Dezember 2010 um 00:30 Uhr
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    Netter Bericht mit netten Bildern vom netten Herrn Lino.
    Steve Morse hingegen ist der verdammte Hurensohn eines Gottes, eigentlich darf niemand so gut sein!!

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