SLIME, 25.11.2010, Zapata, Stuttgart

Slime

Foto: Steffen Schmid

Meine Fresse, was für ein Auftrieb. Wer sich da vergangenen Donnerstag so alles aufgemacht hatte, um die – Achtung, Klischee! – wichtigste deutsche Punkband zu sehen, war schon beeindruckend – selbst aus Köln war eine liebe Freundin angereist. Die Vorband „Skafield“ haben wir vor lauter „Weißt Du noch, wie es damals war“-Geschichten denn auch verpasst – ’schuldigung. Aber einen so hohen Altersdurchschnitt gab’s tatsächlich schon lange nicht mehr auf einem Punk-Rock-Gig – und da dauert es eben, bis man sich über die aktuellen Wehwehchen, über Frau und Kind, Haus und Hof und Pferd und Yacht ausgetauscht hat.

Neben der Vorfreude, Slime endlich mal wieder live zu erleben (das letzte Mal hatte ich sie ’91 beim „Viva St. Pauli“-Festival im Millerntorstadion gesehen), schwang auch so ein bisschen die Angst mit, dass die Herrschaften ihren Kultstatus mit einem affigen Re-Union-Sell-out mal eben so über Bord spülen würden. Doch schon nach den ersten Tönen von „A.C.A.B.“ war klar: Fremdschämen fällt heute aus. Vollgas ahoi, ein Hit jagt den nächsten. Der Sound ist zu leise, die Kapelle macht aber trotzdem Dampf wie eine Mannschaft Matrosen auf Landgang.

Die Gitarre von Michael „Elf“ Mayer fand ich schon immer geil, auch bei Targets, Destination Zero oder Abwärts. Hat einen extrem hohen Wiedererkennungswert, der Mann hat ein ganz eigenes Melodiegefühl – und zeigt, dass er’s heute mehr drauf hat denn je. Die Menge tobt, grölt jeden Song mit, Gänsehaut überall, egal, wen man wo anrempelt. Ob „Störtebeker“, „Deutschland verrecke“, „Etikette tötet“ oder „Legal, illegal, scheißegal“: Die Präsenz und Aktualität der Band ist immer noch (oder gerade nach all den Jahren) beeindruckend. Zwar ist Stephan Mahler, musikalischer Kopf und Schlagzeuger, nicht mehr dabei, und auch Bassist Eddi Räther hat die Segel gestrichen, dennoch ist Slime dank der Neuzugänge Alex Schwers (Drums, früher Hass, macht das Punk-im-Pott-Festival) und Nici (Bass, spielt auch bei den Mimmis)  eben immer noch Slime.

Das liegt nicht zuletzt an Frontman Dirk „Dicken“ Jora, der sich zwar glücklicherweise von seiner Vokuhila-Frisur getrennt hat, ansonsten aber immer noch zu den Sängern gehört, die eine eher, ähem, statische Darbietung bevorzugen – die ganz große Show sollen andere Bands machen. Und wahrlich, von Rockstar-Gehabe sind Slime auch 2010 weit entfernt – auch wenn einige Szene-Polizisten angesichts 15 Euro Eintritt und der Location Zapata schon Hochverrat wittern und lieber zu Hause bleiben. Nun ja.

Slime

Foto: Steffen Schmid

Textzeilen wie „Baader, Meinhof hingerichtet im Stammheimer KZ. Polizei SA-SS, immer hilfsbereit und immer nett“ würde sich der ein oder andere heute wahrscheinlich nicht mehr auf den Arm tätowieren, selbst wenn da noch Platz wäre – doch das ist auch nur eine Seite der Medaille. Denn sei es S21, Castor schottern oder Nazi-Aufmärsche: Dirk Jora ist davon überzeugt, dass dieses Land die Band braucht, wie kaum zuvor:

Die Texte sind zeitlos. Die Songs sind zeitlos. In diesem Land tut sich was. Auch wenn es vielleicht eine andere Protestkultur ist, die nicht so militant ist wie zu unseren Tagen. (…) Wenn du zeitlose Texte hast, wie Ton Steine Scherben auch, dann kannst du zu jeder Zeit auftreten. Der Kapitalismus und das System ändern sich höchstens zum Schlechteren. Also werden diese Songs auch immer ihre Bedeutung behalten

hat er kürzlich in einem Interview gesagt. Die Menge glaubt es ihm nicht nur, sie weiß, dass er Recht hat. Fühlt es. In den Augen von mittlerweile gutsituierten Vierzigjährigen blitzt er plötzlich wieder auf, der alte Zorn wird wieder wach, die alte Wut. Wie unlängst am schwarzen Donnerstag im Stuttgarter Schlosspark, als die Staatsgewalt eindrucksvoll demonstrierte, wozu sie fähig ist. Genau das ist es, was Slime von jeher auszeichnet: Den Finger in die Wunde des Systems legen. Damals wie heute. Und genau deshalb ist das Konzert auch kein nostalgisches „Früher war alles geiler“-Happening, sondern eine Art Spiegel, den uns „Dicken“ & Co. vorhalten: „Ist es wirklich okay, wie ihr euch euer Leben eingerichtet habt? Habt ihr die alten Ideale nicht längst schon verraten?“.

Vielleicht sind wir ja doch alles Schläfer, die nur auf die Initialzündung gewartet haben und morgen S21 oder was auch immer wegsprengen – wer weiß das schon. Wahrscheinlicher ist aber wohl, dass wir auch morgen wieder unsere Aktienkurse checken – von unterwegs mit dem iPhone, versteht sich. Und auch auf dem nächsten Konzert wieder Rotwein statt Bier trinken. Trotzdem oder gerade deswegen: Es ist kein Fehler, immer mal wieder mit der Nase in den Dreck gestoßen zu werden – wer will schon als linker Spießer enden?

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