AMORPHIS, ORPHANED LAND, GHOST BRIGADE, 24.11.2010, Rockfabrik, Ludwigburg

Amorphis

Foto: Sue Real

Mindrot war eine meiner Lieblingsbands in den frühen 1990ern. Leider war sie, was Alben angeht, nicht gerade hyperaktiv. So war es für mich 2003 eine große Freude festzustellen, dass einige der Musiker mit Eyes of Fire ein erstklassiges Nachfolgeprojekt aufgestellt haben. Aus deren Musik waren deutliche Einflüsse anderer meiner musikalischen Favoriten wie Katatonia und Anathema herauszuhören. Leider vermeldet die Encyclopaedia Metallum für Eyes of Fire, die Band sei „on hold“. Umso größer ist natürlich meine neuerliche Freude, mit Ghost Brigade praktisch einen sound-alike gefunden zu haben.

Ghost Brigade

Foto: Sue Real

Dabei erwarte ich gar nicht viel, habe ich doch den musikjournalistischen Kardinalfehler begangen, mich nicht vorher in die Bands dieses Rofa-Abends einzuhören (nun gut, bei Amorphis habe ich damit schon 1994 angefangen – extra für den Gig-Blog). Hätte ich mir die Mühe einer kurzen Recherche vorher gemacht, hätte ich auch sehen können, dass Ghost Brigade erst kürzlich mit ihrem zweiten Album „Isolation Songs“ höchstes Lob der internationalen Presse erhalten haben, so „Album des Monats“ im Metal Hammer. Die Finnen geben einen wunderbaren Sludge zum Besten. Bei allem Abwechslungsreichtum und aller Dynamik der Musik ist es schwer, sie auf ein paar handliche Begriffe zu reduzieren. Probiere ich es mal so: Die Spanne reicht von drückenden Midtempo-Riffs bis zu flächig gespielten Akkorden à la Katatonia oder Cult of Luna, bei dem sich die Tonart bestenfalls mal alle acht oder 16 Achtel ändert – die Wirkung ist ungeheuerlich melancholisch. Gesanglich variiert Manne Ikonen (das muss ein Künstlername sein!) zwischen leicht nasaler Kopfstimme, tiefer Sprechstimme und Hard Core-artigem Gebrüll; musikalisch ist Ghost Brigade so ansprechend und vielseitig, dass die große Nähe zu offenkundigen Vorbildern gar nicht störend auffällt. Die Platte nehme ich mal mit.

Orphaned Land

Foto: Orphaned Land

Mal ganz was anderes sind Orphaned Land aus Israel. Auch sie haben ihre Wurzeln im Death, Doom und Folk Metal, sind musikgenealogisch also eng mit den beiden anderen Bands des Abends verwandt. Faktisch sind die Einflüsse aus der folkloristischen Musik ihrer Heimat aber so andersartig, dass einem die Ohren schlackern: Orient als Alleinstellungsmerkmal sozusagen. Dementsprechend begrüßt uns Sänger Kobi Farhi mit „Schalom“ und versichert uns sogleich, dass er nicht Jesus sei, trotz seines Gewandes und seiner reichlich eingesetzten Segnungsgeste, denn „I’ve got allstar shoes“.

Gegenüber der ersten Band verbrauchen sie gefühlt viermal so viele Noten pro Minute. Der Gesang ist in Textpassagen in der Regel episch getragen, wird aber über sehr weite Strecken einfach als ein Melodieinstrument eingesetzt, wobei Kobi orientalische Tonfolgen auf immer dieselbe Silbe singt, orientalische Koloraturen quasi. Manche dieser Melodien sind gar nicht so anders als das, was uns aus manchem aufgemotztem Auto entgegenschallt, nur dass dort der progressive Death Metal fehlt. Trotz der immensen Vielfalt an einander auch überlagernden orientalischen Melodien – oft mit Originalinstrumenten von Band zugespielt – bleiben die sehr rhythmischen Gitarren prägend für das Gesamtbild. Das Publikum zeigt sich begeistert und hüpft, fest in der Hand des Frontmannes, wedelt mit den Armen oder lässt sich in Mitsingspielen durch die nicht ganz einfachen Melodielinien führen.

„This is how we make Metal in the Middle East,“ verkündet der Sänger. Das muss nicht jedermanns Sache sein. Aber in die Alben reinzuhören, lohnt sich in jedem Fall.

Amorphis

Foto: Sue Real

Amorphis war eine meiner Lieblingsbands in den frühen 1990ern. Im Gegensatz zu Mindrot war die Band in den 20 Jahren seit ihrer Gründung ungeheuerlich produktiv und ebenso wandelbar. Die erste dieser Wandlungen führte dazu, dass sie den reinen Death Metal von „The Karelian Isthmus“ (1992) auf „Tales from the Thousand Lakes“ (1994) melodisch abwandelten, folkloristische finnische Melodien aufnahmen und klaren Gesang neben die Death Growls stellten. Das macht sie zu einer der ersten Band des Melodic Death Metal – sie waren stilbildend noch bevor 1995 die Genre-Klassiker von At the Gates oder Dark Tranquillity erschienen. Die Möglichkeit, klaren Gesang zu verwenden, bekamen sie zunächst einmal durch Gastsänger Ville Tuomi, der jedoch schon für die nächste Veröffentlichung nicht mehr zur Verfügung stand und 1996 durch Pasi Koskinen abgelöst wurde. Dessen Stimme prägte die nun etwas ruhigere, atmosphärischere Musik der kommenden Alben – auch weil Gitarrist Tomi Koivusaari das Growlen einstellte – bis Tomi Joutsen auf den Plan trat. Bei ihm hat man den Eindruck, dass Amorphis ein bisschen mehr von allem gewonnen haben: mehr eingängige Melodien, mehr Härte, mehr Druck.

Als Frontmann ist er ein Glücksgriff, denn er ist ein knisterndes Energiebündel und meistert das gesangliche Line up-Problem der Band, da er spielerisch zwischen Growls und seinen vollen Ohrwurmmelodien wechseln kann. Während Gitarrist Esa Holopainen und Namensvetter Tomi in aller Seelenruhe ein Riff nach dem anderen vom Stapel lassen, fegt Joutsen über die Bühne, bangt mit seinen ohne Übertreibung bis in die Kniekehlen reichenden Rastas, brüllt sich gegebenenfalls die Seele aus dem Leib und feuert das Publikum an, das artig abgeht wie Schnitzel.

Amorphis spielen ein Set ohne Aussetzer; hinreichend gutes und noch mehr Material haben sie ja. Man erkennt aber auch deutlich die starke Betonung des letzten Albums „Skyforger“ und ein etwas ruhmloses Umschiffen der Alben „Tuonela“ und „AM Universum“. Vielleicht liegen diese Songs Tomi Joutsen nicht so. Vielleicht will die Band diese Phase aber auch ausblenden. Schade wäre es. Ich hätte mir von diesen Alben noch mehr gewünscht, und spielzeitmäßig wäre das auch drin gewesen. Dennoch habe ich und offensichtlich auch die rammelvolle Rofa jede Menge Spaß, Schweiß und heute Knoten im Haar. Bleibt hyperaktiv, Jungs, ich freue mich schon auf die nächste Veröffentlichung.

Ghost Brigade

Orphaned Land

Amorphis

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