FRONT 242, 14.04.2010, LKA, Stuttgart

Front 242

Foto: Steffen Schmid

Mein persönlicher EBM-Clash of the Titans 2010 hat am Mittwoch im LKA ein Ende gefunden. War ich vor wenigen Wochen noch bei Nitzer Ebb in der Röhre mäßig begeistert, freute ich mich umso mehr auf Front 242. Ich war gespannt, ob die EBM-Pioniere aus Belgien immer noch was auf dem Kasten haben. Und ich nehme es vorweg: Sie haben! Sie haben sogar sowas von! Aber erst mal der Reihe nach.

Als ich am Mittwoch das LKA betrete, bin ich erschrocken. Die halbe Halle ist mit Vorhängen verhängt, damit die, für die Location doch eher kleine, Fangemeinde sich nicht so verloren vorkommt. Karten gibt’s an der Abendkasse auch noch genügend. Naja, ist halt auch nicht die größte Subkultur. Die erste Band Soldout spielt auch schon. Die belgische 2er-Combo sieht so ganz und gar nicht szenetypisch aus, gefällt mir aber richtig gut und macht flotten Elektro-Rock mit New Wave-Einschlag. Sängerin Charlotte tänzelt in Turnschuhen, Röhrenjeans und Ringelshirt zu den satten Beats ihres Bandkollegen über die Bühne und scheint beim Publikum auch verhältnismäßig gut anzukommen. Immerhin wippen doch recht viele Beine im Takt und der ein oder andere bewegt die Füße sogar richtig. Sogar eingefleischte EBMler applaudieren artig in den Pausen.

Als zweiter Einheizer gehen Orange Sector an den Start. Die Hannoveraner sind vielen der Anwesenden keine Unbekannten und konnten in ihrer 18-jährigen Schaffenszeit schon den ein oder anderen Szene-Hit verbuchen. Dementsprechend steigt dann auch gleich zu den ersten Songs das Stimmungsbarometer im LKA. Die Leute zieht es nach vorne und schon sieht man die ersten für EBM so typischen Marschschritte. Was Orange Sector präsentieren, knallt ganz gut, aber nach zwei oder drei Songs habe ich irgendwie auch schon genug. Zum Tanzen ist der Sound sicher klasse, aber mir ist gerade nicht nach tanzen und zum auf der Bühne anschauen ist das ein bisschen zu wenig: der typische Beat im immer gleichen Tempo, die typischen Texte (Krieg, Stahl und so weiter) und die typischen Shouts. Und Rampensäue sind die beiden Hannoveraner auch nicht gerade. Dem Hauptact die Show stehlen werden Orange Sector wohl eher nicht. Immerhin: bei ihrem vielleicht bekanntesten Song „Kalt wie Stahl“ fangen auch meine Beine das Wippen an.

Front 242

Foto: Steffen Schmid

Kurz vor 22 Uhr beginnt dann aber das Spektakel auf das ich mich schon so lange freue. Front 242 höchstpersönlich betreten die Bühne und werden ein EBM-Brett abliefern, das mir noch lange in den Ohren nachhallen wird. Mit „Shout it loud“ beginnt ein denkwürdiger Abend. Während zu Stroboskopgewitter und in der Magengegend wummernden Bässen auf der Leinwand die Artikel eines Grundgesetzes abgespielt werden, beginnt die Menge augenblicklich zu tanzen, was das Zeug hält. Front 242 verbreiten neben einer einzigartigen Atmosphäre auch noch jede Menge Spaß. Eigentlich bin heute nicht wirklich in Tanzlaune und auch als mein mehr als nur leicht alkoholisierter Kumpel mit seinem Whiskeycola in der Hand an mir vorbei läuft und versucht mich dazu zu animieren ganz nach vorne zu gehen, lehne ich noch dankend ab. Da wo ich stehe, halbwegs vorne aber ganz auf der Seite, wird sich ja auch ordentlich zur Musik bewegt. Bei „Tragedy for you“ brechen dann allerdings alle Dämme und ich finde mich mitten im Getümmel wieder. Da treffe ich auch meinen whiskeytrunkenen Kumpel wieder. Der Hammer! Überall um mich herum geht die Post ab: EBMler schubsen sich freudig herum, andere tanzen einfach nur selig grinsend. Still stehen tut jedenfalls keiner. Wenn hier heute einer keinen Spaß hat verstehe ich die Welt nicht mehr. Was wären das für Menschen? Front 242 beweisen, dass EBM nicht nur stumpf und eintönig sein muss. Egal ob eher poppigere Stücke wie „Quite unusual“ oder Dampfhammer wie „Headhunter“, die Brüsseler zeigen alle Facetten, die guter EBM haben kann. Und auch nach fast 30 Jahren Bandgeschichte sieht man den Szene-Pionieren an, dass sie richtig Bock darauf haben. Daniel B., Patrick Codenys, Jean-Luc de Meyer, Richard 23 und Tim Kroker nehmen keine Gefangenen. Sie tanzen über die Bühne, sichtlich erfreut über die Party, die sie da angezettelt haben und leben auch von der Dynamik, die die beiden Sänger untereinander entwickeln. Unterstützt von spacigen Visuals haben sie die Menge fest im Griff. Die Legende lebt.

Nach etwa 1 ½ Stunden ist das Spektakel dann viel zu früh vorbei. Aber wer solche Qualität abliefert, darf an der Quantität auch mal ein bisschen sparen. Ist ja schließlich kein Ein-Euro-Laden hier. Was für ein Ding! Den Auftritt von Front 242 mit dem von Nitzer Ebb zu vergleichen, ist nahezu unmöglich. Das war nicht die gleiche Liga, das war nicht mal das gleiche Spiel. Der besoffene Franke an der Bar stimmt mir da jedenfalls zu. Glücklich fahre ich nach Hause und falle in einen tiefen, zufriedenen Schlaf. Nachts um 2 Uhr holt mich eine SMS meines Kumpels aus dem Schlaf. Er wollte nur nochmal verkünden, wie geil das Konzert war. Um seinen Superlativen Nachdruck zu verleihen, benutzt er dazu einen ganzen Haufen nicht druckfähiger Adjektive. Recht hat er.

Front 242

Orange Sector.

6 Gedanken zu „FRONT 242, 14.04.2010, LKA, Stuttgart

  • 16. April 2010 um 14:32 Uhr
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    Sehr schöner Bericht und großartige Fotos, vielen Dank!

    Ich kann der Begeisterung nur zustimmen.
    Der harte, teils komplex-sperrige, teils monoton-tanzbare Sound hat mich echt umgehauen. Hätte nicht gedacht, dass mich Front 242 noch mal so begeistern könnte, wie ich aus den 90ern kenne.

    Beweis: seit 2001 (Björk) habe ich mir das erste mal wieder ein T-Shirt gekauft ;-)

    Verrückt!

  • 16. April 2010 um 15:39 Uhr
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    Hab mir auch ein Shirt rausgelassen… aber ich mach das dauernd :o)

  • 16. April 2010 um 20:54 Uhr
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    Schöner Bericht & tolle Bilder!

    Ein 3. Front-Shirt hab‘ ich mir zwar nicht gekauft, dafür aber ein Poster… ;-)

  • 18. April 2010 um 12:58 Uhr
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    Yeah! Ich propagiere es ein weiteres Mal – Das Konzi war echt anusgeil!

  • 18. April 2010 um 20:16 Uhr
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    Da isser ja wieder…der Anus. :o)

  • 22. April 2010 um 10:13 Uhr
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    habe front in den 90ern auch schon mal im lka gesehen und damals war das konzert, gelinde gesagt, schlecht und die songs teilweise so entstellt, dass man sie gar nicht wiedererkannte.habe mir deswegen lange überlegt, ob ich mir front live überhaupt noch mal antun soll. bin froh, dass ich es getan habe, denn das konzert war schlichtweg der hammer und ich hätte nie gedacht, dass ich mich in meinem biblischen alter noch mal zum tanzen aufraffen würde. so macht elektronische musik auch heute noch spaß!

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