TOCOTRONIC, 10.03.2010, LKA, Stuttgart

Tocotronic

Foto: Steffen Schmid

„Hallo Stuttgart. Wir sind Tocotronic aus Hamburg und Berlin!“

Konzertanfänge sind etwas Wunderbares. Wenn da Vorfreude und Ängstlichkeit beisammen sind, wenn die Band – wie im LKA durch die Innenarchitektur möglich – über die Showtreppe (ja ok, ohne beleuchtete Stufen) die Bühne betritt. Zuvor aber hat man die vier Herren (inzwischen Ende dreißig)  Aufwärmübungen auf der Empore machen sehen. „Das können sie ja auch machen, wo’s niemand sieht“, sagt gig-blogger Lucas.

„Das erste Lied ist ein Liebeslied.“

Der Graf singt „Eure Liebe tötet mich“ mit sehr tiefer Grabesstimme. Ein gegen Ende berstendes Acht-Minuten-Stück. Nicht erst seit dem Nummer-Eins-Album (!) „Schall & Wahn“ haben Tocotronic das Slackertum und die Slogansongs hinter sich gelassen, die Adidasleibchen in die Altkleidersammlung gepackt. Im fast ausverkauften LKA präsentieren sie sich bestens gelaunt, aber dennoch distanziert. Manieriert und verschroben. Und ja: rockig. Manchmal hat man Angst Dirk von Lowtzow könnte in seinem weißen, gestärkten Hemd zur Windmühle ansetzen. „Let There Be Rock“ und so.

„Dein Schlimm ist mein ganz Schlimm.“

„Wir hoffen, ihr habt einen wunderschönen Abend im LKA Longhorn, wo wir erst zum zweiten Mal in unserer Karriere spielen. Eigentlich der schönste Ort der Erde.“ Solche Sätze sagt von Lowtzow ständig. Wenn er nicht laut „Dankeschön“ ins Mikro schreit und sich aristokratisch verbeugt. „Der Guttenberg des Indierocks“, sagt Lucas. Meistens singt Dirk von Lowtzow natürlich und nuschelt so sehr, dass er zwischendurch auch den Text vergessen könnte, ohne dass es jemand bemerken würde. Man verbucht es einfach unter künstlerischer Freiheit. Live haben Tocotronic auch im 17. Jahr ihres Bestehens durchaus noch den Charme des Dilettantischen. Trotz der über 90 Minuten, die das Konzert dauert, fehlen ein paar Tocotronic-Gassenhauer: „Kapitulation“ etwa. Man kann sie leider nicht alle hören an einem Abend.

„Ein Lied über den heiligsten aller Kriege“

Er sagts und singt „Verschwör dich gegen dich”, ein Lied über Selbstaufgabe, das Hinnehmen der Krise. Herrlich, wie man sich hier darin suhlen kann, dass es immer noch schlimmer kommen kann. Ja: „Die Folter endet nie“. Viel Applaus gibt es für Arne Zank, als der hinter dem Schlagzeug vor kommt und „Ich werde nie mehr alleine sein“ sprechsingt. Und spätestens bei der Antiheimwerker-Hymne „Macht es nicht selbst“ tanzt der ganze Mob. Man sollte einfach jeden Tipp von Tocotronic befolgen.

12 Gedanken zu „TOCOTRONIC, 10.03.2010, LKA, Stuttgart

  • 11. März 2010 um 09:04 Uhr
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    super!! danke für den schönen bericht.

  • 11. März 2010 um 09:12 Uhr
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    Danke! Dir hätte das auch ganz wunderbar gefallen;) Am liebsten hätte ich deinen futurepop-Artikel aus dem Jahr 1998 (?) veröffentlicht. Hihi! Hab‘ ihn aber nicht gefunden…

  • 11. März 2010 um 09:16 Uhr
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    ahhhhh oh gott!!! please don’t ;)

  • 11. März 2010 um 09:16 Uhr
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    The Tights in der Retromelancholie…Lucas kommt im übrigen doch auch so halb-aristokratisch daher…der gig-blog Guttenberg wenn man so will.

  • 11. März 2010 um 10:46 Uhr
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    Tocotronic und Berlin- das wird für mich wohl nie zusammen gehn.

    Ich erinnere mich, mit 13 auf einem Minifestival in Ulm gewesen zu sein- eigentlich wegen Fettes Brot und ihrer Definition von Fett :-)- und dann gedacht zu haben: hm, die sind ja fast noch cooler als die Brote…

    Frage mich bei Bands wie Tocotronic immer, wie man das macht- 17 Jahre die gleiche Band (klar gibt’s das auch noch in viel länger)- entweder man muss sich ständig neu erfinden ohne dabei die Fans zu verschrecken oder man muss sich treu bleiben, ohne langweilig zu werden- Respekt.

  • 11. März 2010 um 11:04 Uhr
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    Schöner Bericht, Anja!
    Bei Tocotronic muss ich immer an Karl von TKKG denken (https://epguides.de/tkkg.jpg). Zwar besser als Klößchen aber halt doch nicht Tim.
    Guttenberg ist nicht so nett, eigentlich will ich lieber Ernst-August-mäßig rüberkommen. Schon aristokratisch und die Nase ganz weit oben aber mit Herz und Holzfällerhemd.

  • 11. März 2010 um 11:19 Uhr
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    und ich denke über deutsche Texte nach, und ob vielleicht ein PUR Song aus Dirks Mund auch bedeutungsschwanger daherkäme? ;-)

    „Lena, du hast es oft nicht leicht“

  • 11. März 2010 um 12:18 Uhr
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    @Lucas und @Regine hihihihi sehr schön

  • 12. März 2010 um 14:06 Uhr
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    @Lucas: Ernst-August? Prinz Pinkel? Der Prügler Ostafrikas? Bist Du verrückt?

  • 15. März 2010 um 08:25 Uhr
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    Ich habe mir vom Grafen jedenfalls ein paar schöne Ballett-Moves und -Verbeugungen abgeschaut, mit denen ich jetzt gleich im Büro verblüffen werde.

  • 16. März 2010 um 08:44 Uhr
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    Kam’s gut an? Ich verabschiede mich seither auch immer mit Knicks.

  • 16. März 2010 um 16:01 Uhr
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    Bestens! ich brauche nur dringend ein längeres Tastaturkabel, um sie nach jedem fertigen Text genauso ehrfurchtsgebietend emporzurecken wie der Lowtzow die Gitarre.

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