SOAP & SKIN with Ensemble, 21.02.2010, Theaterhaus, Stuttgart

Soap & Skin

Foto: Steffen Schmid

Ausgangslage: Ich hab ja ein kleines Problem damit, wenn so ganz junge Menschen mit düsterem, poetischem Befindlichkeitsgewichse und Kunstanspruch daher kommen. Ein bisschen kennt man das ja von sich selber aus der Zeit, und im Nachhinein kann man vielleicht zu dem Schluss kommen, dass man damals ein bisschen arg verwirrt, unreif und lebensunerfahren war, um so bedeutungsschwanger und prätentiös die Welt mit kruder Melancholiepoetik zu belästigen. 10 Jahre später isses einem dann peinlich.
Andererseits, warum soll das nicht auch ein legitimer, künstlerischer Ausdruck einer bestimmten Lebensphase sein? Und vielleicht kommt ja dabei am Ende sogar gute Musik raus?

Dermaßen mental vernagelt, bzw. unschlüssig (ja was jetzt? Beides geht nicht.) gehe ich also auf das Konzert von Soap & Skin, wohl der österreichischen Newcomerin des letzten Jahres.
Die Gespräche im vielleicht 3/4 vollen Theaterhaus erlischen sofort als das Licht ausgeht und Tiergeräusche, wohl aus der Schweinezucht, das Konzert einläuten. Anja Plaschg, kaum fassbare 19, ist mit einem sechsköpfigen Kammerorchester zu Gast, und liefert in den 75 Minuten den Soundtrack für den allertraurigsten Tragödienfilm in schwarzweiß, der je nicht verfilmt wurde. Ein Film, an dessen Anfang die vielleicht hoffnungsfrohste Szene stehen könnte, eine Beerdigung. Danach wird aber alles schlimmer und geht richtig den Bach runter. Hilflose Vergleiche, um diese Inszenierung der Traurigkeit beschreiben zu können. Weiterer Versuch: Portishead klingen im Vergleich zu Soap & Skin wie die Hermes House Band, die auf der Faschingsfeier aufspielt.
Ohne Ansagen geht es durch das funerale Set, welches trotz aller Düsternis, sehr abwechslungsreich ist. Bis auf das erste und letzte Stück, hockt Frau Plaschg am Flügel, singt und spielt sich durch die Stücke, die mal mit Orchesterbegleitung und Samples, mal auch nur mit Stimme und Flügel vorgetragen werden. Langweilig wird es alleine schon durch die Spannung, die in der Luft liegt, nicht. Die Künstlerin scheint wirklich ihre Songs auf der Bühne zu durchleiden, was sich in kurzen Momenten des Aufstehens und Schreiens bemerkbar macht, oder wenn sie vom Hocker aufsteht und kollabiert. Inszeniert oder echtes künstlerisches Leiden?
Unter intensiver, nervlicher Anspannung scheint sie auf jeden Fall zu stehen. Das wird spätestens da deutlich, als sie sich umdreht und ein Stück unterbricht, da sie sich von gehenden Personen gestört fühlt.

Soap & Skin

Foto: Steffen Schmid

Am besten gefallen mir die orchestrierten Parts, wenn die Musik verstörende Konnotationen annimmt, die teilweise schon an modernere Klassik erinnern. Bestes Beispiel ein Instrumental, in welchem die Bühne effektvoll in rotes Licht eingetaucht wird, und der Nebel die Musiker verschluckt. Da entwickelt die Musik dann eine ganz schöne Kraft, die mich auch nicht kalt lässt.

Auf jeden Fall sind die Fans begeistert, was sich in „Bravo“-Rufen und einer Zugabe äußert, einem nur mit Stimme vorgetragenem, steiermärkischem Stück. Danach ist das sonntägliche Requiem beendet, ich hab meine Jahresration Moll konzentriert abbekommen und muss zu der Erkenntnis kommen, dass wir alle hoffnungslos verloren sind, doomed, doomed.
Gerade jetzt, als ich dachte der Winter sei so langsam vorbei…

Zwei Anmerkungen bleiben allerdings noch:
– Wo waren die Goth-People heute Abend?
– Wird mich eine dreiwöchige TweePop Kur wieder aus der Depression rausholen können?

14 Gedanken zu „SOAP & SKIN with Ensemble, 21.02.2010, Theaterhaus, Stuttgart

  • 21. Februar 2010 um 23:17 Uhr
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    Ahh, ich fands geil. Der Intro, das Cover von Clint Mansell, Marche Funebre (Yrasor).
    Die gespielte Kotzerei, oder sollte das einfach nur „Den Künstler stören“ darstellen?
    Hätte allerdings ruhig noch etwas länger gehen können, noch ein paar Cover reingehauen und gut is.
    Und toller Artikel, wie üblich.

  • 21. Februar 2010 um 23:42 Uhr
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    @Tobias: Clint Mansell? Hat der nicht an Soundtracks für Aronofsky-Filme mitgewirkt?

  • 22. Februar 2010 um 08:21 Uhr
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    Genau das Richtige für einen gutgelaunten Redakteur.

    Die Dame/Band kannte ich gar nicht – wieder was gelernt. Schöner Text und die Bilder sehen saugut aus – mit all dem Schwarz aussenrum.

  • 22. Februar 2010 um 10:38 Uhr
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    nur mit Stimme vorgetragenem, steiermärkischem Stück?? stimmt nicht…bitte genauer recherchieren!!!

    ist ein Stück des jüdischen Dichters und Partisanen Hirsch Glik…

    gruß aus wien

  • 22. Februar 2010 um 10:43 Uhr
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    @mawo: vielen Dank! Verdammt, in der Nachbesprechung haben wir noch darüber diskutiert, und ich hatte den Zweifel ob das nicht jiddisch gewesen sein könnte, war mir aber auch gar nicht sicher.

  • 22. Februar 2010 um 10:52 Uhr
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    @Lino:
    Jap, es war das Stück „Meltdown“ aus dem Soundtrack für Requiem For A Dream. Allerdings find ich ihre Interpretation deutlich besser.
    Das einzige Video dazu, dass ich gefunden hab: https://www.youtube.com/watch?v=JWUwg1dJ5GU

  • 22. Februar 2010 um 10:56 Uhr
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    war ein wirklich intensives Konzert, fand in er ersten Hälfte allerdings die Streicher etwas zu leise, gingen doch etwas unter.
    Bei ihrer Performance bin ich mir auch nicht sicher ob es Inszenierung oder wirkliches Leiden war, wirklich authentisch wirkte es auf mich allerdings bei den letzten beiden Stücken.

  • 22. Februar 2010 um 12:13 Uhr
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    Die Goth-People waren da! Zumindest viele ehemalige… ;-)

  • 22. Februar 2010 um 14:37 Uhr
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    guter artikel, der das widerspiegelt, was auch ich bei soap&skin empfunden habe: das album… na ja, klingt schon nach ein wenig nach kindergartengruft. aber live, da strahlt frau plaschg eine ungeheure ernsthaftigkeit aus, und die songs werden mit einer solchen intensität dargeboten, dass man unweigerlich in ihren bann gezogen wird. ’spiracle‘ und ‚marche funèbre‘, das ich in der albumversion nicht besonders mag, haben mich schlicht umgehauen.

  • 22. Februar 2010 um 18:36 Uhr
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    hi lino, feiner text. besonders schön der portishead-hermes-vergleich. soll auf jeden fall keiner mehr behaupten, dass elfriede jelinek die einzige schräge österreicherin ist. zum kotzen war dieses konzert jedenfalls nicht;-)

  • 25. Februar 2010 um 01:13 Uhr
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    Schöner Bericht & schöne Fotos!

    @Tobias:
    Welche gespielte Kotzerei? Die Dame, die sich übergeben hat, saß direkt vor mir. Da war (leider) gar nix gespielt…

  • 28. Februar 2010 um 16:42 Uhr
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    Hi Steelrose, war das das Mädchen, welches dann von der älteren Frau rausgeführt wurde. Anja Plaschg hat das mit einem leisen „Und Tschüss!“ kommentiert.

  • 28. Februar 2010 um 18:19 Uhr
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    Hallo Cynocephalus, ja, genau. Den Kommentar hab‘ ich allerdings nicht gehört…

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