WIGLAF DROSTE, 24.01.2010, Manufaktur, Schorndorf

Wiglaf Droste

Foto: Lino

Man muss sich von der Illusion verabschieden, liebe Leser, dass der Gig-Blog noch der Zusammenschluss von vier Freunden ist, die allein aus ihrer Konzertleidenschaft „just for Fun“ Konzertreviews in das world wide web stellen. Das ist inzwischen eine gut geölte, hoch professionelle Reviewmaschine, weltweit vernetzt, quasi das Google der Konzert Blogs. Da ist nichts mehr mit „ich mach den Bericht demnächst fertig…“. Abliefern, aber mal hurtig, ist angesagt. Ich frage mich nur, wie das werden soll, wenn erstmal die Gig Blog Dependance in Reykjavík steht.
Kaum im Auto auf der Rückfahrt von der Lesung werden auch schon von Deadline-Lino die Daumenschrauben angesetzt, gut getarnt, doch nicht so, als erkenne man die Intention nicht hinter der Frage: „und weißt du schon, was du schreibst, wird es wieder so ein Monstertext wie das letzte Mal?“.
Dabei habe ich weiß Gott andere Sorgen in diesem Moment. Während der Vorstellung kam mir ein Gedanke, der mich nicht mehr losließ: Was ist, wenn Wiglaf Droste das hier lesen sollte. Immerhin wildere ich in seinem Revier. Soll ich mich gleich als Dilettant outen? Für die scheint er ein Herz zu haben, allerdings war das auf kochlöffelschwingende Amateure bezogen, Schreiberlinge dürfen auf solch Absolution nicht hoffen. „Der soll sich nicht so anstellen“, mag jetzt manch einer denken, doch Sprache alá Wiglaf Droste kann mal so richtig fies sein. Jemanden der Worte wie „Trittbrettficker“ erfindet, unseren Ex- Bundeskanzler als „Waschbrettkopf“ bezeichnet, Alice Schwarzer als „sprachferne Medienbordsteinschwalbe“ und, jetzt ratet mal wen, als „Mannheimer Wimmerschinken“, der wetzt Sprache messerscharf, dem sollte man nicht in die Quere kommen. Daher die Sicherheitsvariante. Nüchterner, cooler Tatsachenbericht.
Ich kann mich daran erinnern, dass vor gar nicht langer Zeit Frau Wasserbäch darüber schrieb, dass Lesungen immer mehr zu Events mutieren. Ohne Cheerleaders und Sideshow Bobs scheinen sich manche Autoren gar nicht mehr unter die Leute zu trauen. Nun, es geht auch anders.
Ein Tisch, ein Mann und geile Texte. Mehr brauchte es nicht in der gut gefüllten und sympathischen Manufaktur in Schorndorf, um zwei Stunden wie im Fluge vergehen zu lassen.
„In einem Land, in dem Bild als Zeitung durchgeht und Guido Knopp als Historiker, gelten Friseure als Hirnforscher“ aus „Im Sparadies der Friseure“ war der Anfangssatz und Text für Text spinnt Wiglaf Droste sein Sprachnetz, entstaubt das Wort Satire, seziert Sprache, um sie neu zusammenzusetzen und übt intelligente Sprachkritik.
Enden möchte ich mit einem Zitat aus “ Warum ich kein Hypochonder geworden bin“, in der Wiglaf Droste die antike Auffassung, dass die Gemütskrankheiten im Unterleib saßen, mit folgenden, eigenen Worten bestätigt:
„Sitz der Seele ist die Möse/ Ohne Liebe wird sie böse“.

9 Gedanken zu „WIGLAF DROSTE, 24.01.2010, Manufaktur, Schorndorf

  • 27. Januar 2010 um 12:22 Uhr
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    „Abliefern, aber mal hurtig, ist angesagt.“
    …nie stieß ich auf taubere Ohren.
    Mir hat besonders die Stelle gefallen, in der er vor lauter Antihypochondrie gar nicht zum Arzt geht, mit der Begründung „Stil geht vor Gesundheit“.

  • 27. Januar 2010 um 12:29 Uhr
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    „Deadline-Lino“ ist aber auch mal keine schlechte Wortschöpfung. Und so zutreffend, auch ich bekomme immer wieder teils ganz nebenbei, teils aggressiv Nachfragen bezüglich Arbeiten, die ich noch vor mir herschiebe.
    Mensch Walter, wir beide scheuen vor innovativen Styles nicht zurück, liefern unabhängig voneinander kurze, prägnante Texte ab. Ich allerdings nachweisbar vor Dir.

  • 27. Januar 2010 um 12:38 Uhr
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    undiszipliniertes italo-brasilianisches Saupack…

  • 27. Januar 2010 um 12:41 Uhr
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    Selber Italo-Saupack.

  • 27. Januar 2010 um 13:16 Uhr
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    Habe mich gar nicht mehr auf Skype getraut… war kurz vor dem Burn Out, oder so..

  • 27. Januar 2010 um 14:15 Uhr
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    Angst vor Deadline-Lino?

    Jetzt ist alles wieder gut, sobald der Text im Netz steht, verschwindet der Schaum an seinen Lefzen in relativ kurzer Zeit. Ich empfehle trotzdem das Mitführen eines Stockes bei Eurem nächsten Treffen.

  • 27. Januar 2010 um 16:26 Uhr
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    wenn’s in euren Händen gelegen hätte, gäb’s heute noch keine Review über Woodstock, ihr Hippies.

  • 30. Januar 2010 um 13:42 Uhr
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    Grooooßartig alles, Dein Text, Walter, die Kommentare, ich habe mich glääänzend amüsiert ;-))

    Deadline-Lino rules!

  • 30. Januar 2010 um 14:18 Uhr
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    warum eigentlich nicht gleich:
    deadlino

    obwohl, das klingt fast schon makaber, sorry

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