TURBOSTAAT, 17.12.2009, Keller Klub, Stuttgart

TURBOSTAAT, Keller Klub

Foto: Svenja Eckert

Wow. Das  Phänomen Turbostaat scheint bisher ziemlich an mir vorbeigegangen zu sein. Eigentlich verständlich, da ich Deutschpunk nicht unbedingt zu meinen favorisierten Musikrichtungen zähle. Wer will’s mir bei all dem Audioschrott, der so kursiert, auch verdenken? Umso erstaunter war ich dann an diesem bitterkalten und erwartungsfreien Dezemberabend, als ich schlussendlich miterleben durfte, wie gut der Flensburger Fünfer tatsächlich ist. Gut wäre aber noch weit untertrieben. Spontane Sprachlosigkeit würde es irgendwie besser beschreiben. Im rappelvollen Stuttgarter Keller Klub rockt diese Band vom ersten bis zum letzten Ton unglaublich eingängig, aber auch irgendwie aufwühlend. Man merkt intuitiv, dass Spielfreude, Leidenschaft und Bandchemie (zumindest auf der Bühne!) absolut stimmig sind. Songs wie „Haubentaucherwelpen“, „Insel“ oder „Harm Rochel“ geraten dabei zu hymnischen Rocksongs, die hochenergisch Postpunk, Hardcore und Popversatzstücke verdichten, ohne irgendwie abgeschmackt oder aber besserwisserisch daherzukommen. Ganz im Gegenteil. Turbostaat klingen zwar für alle wunderbar lesbar und gleichzeitig doch auch sehr eigen.

Trotz aller Geschichtsträchtigkeit (Gang Of Four, The Cure, Pixies, The Van Pelt, The Lapse, Monochrome,… –  die letzten Jahrzehnte der lauten Rockmusik wurden höchst liebevoll aufgesogen!) wohnt dieser Musik etwas zutiefst Unmittelbares und Menschliches inne (Fernweh? Empathie? Demut?). Und sie macht verdammt viel Spaß. Diese ach so typischen Mittneunziger-Indierockgitarren sind auf’s herrlichste verzahnt und die kantige Rhythmusfraktion treibt wie literweise Bier. Ein absolut unschlagbares Fundament also für die raubeinigen aber stets irgendwie herzlich-melancholischen Hooklines, von denen es am heutigen Abend definitiv reichlich gibt. Husum! Verdammt! Noch! Mal! Es wird nicht viel gelabert in der – Zitat: „sichersten Stadt Europas“. Wieso auch? Das Set wird mit transparentem Sound zügig und präzise runtergerockt, bei den Anwesenden gibt es etwas Emo-Sport, hippieskes Handclapping und viel aufrichtiges Mitgesinge. Das Publikum erweist sich dabei als ebenso dankbar wie auch textsicher. Die Songs der neuen, 2010 erscheinenden Platte wirken in dem Kontext zwar etwas zurückhaltender vorgetragen, reihen sich aber trotzdem nahtlos ins schwitzige Live-Geschehen ein, während die offensichtlichen Hits nicht enden wollen.

Das wäre eigentlich das Stichwort für den einzigen Kritikpunkt. Wenn man die ganze Zeit so einen hohen Energielevel fährt, sollte man als Band auch für eine geschickte Dramaturgie sorgen, sonst gerät man leicht in die seltsame Situation auch die wunderbarsten Songs irgendwie zu „verpulvern“. In diesem Sinne sollte ich noch erwähnen, dass – zumindest live – die „ruhigeren“ Stücke (Midtempo?) kompositorisch etwas abfallen, vielleicht wirkt sich da die Turbostaat’sche Genrezugehörigkeit auch etwas benachteiligend auf die angewandten Stilistiken aus. Nichtsdestotrotz bleibt am Ende nur Staunen und Gänsehaut galore. Und das ist mir in der heutigen Zeit schon einiges wert. Bei so vielen Bands, die völlig plan- und eierlos das weit aufgeblähte Feld des deutschsprachigen Indiepunkrocks beackern – Tomte, Kettcar, Madsen, usw. –, sind mir Turbostaat nach nur einem einzigen Konzertbesuch inzwischen die liebsten. Und zwar ohne Konkurrenz. Irgendwie kaufe ich denen auch noch die komplette textliche Ebene ab. Erschreckend, wie stimmig hier zu Werke gegangen wird. Ein gutes Beispiel dafür, dass die scheinbar ach so plumpe Direktheit bestimmter Worte, im bestem Fall, mit der richtigen Geste und der entsprechenden Haltung vorgetragen, auch sehr poetisch sein kann. Kein Witz.

Eines der Konzerthighlights im ausgehenden Jahr 2009 und die zur Zeit wohl beste Punkrockband Deutschlands. Ich bin mir sicher: Da geht noch einiges.

6 Gedanken zu „TURBOSTAAT, 17.12.2009, Keller Klub, Stuttgart

  • Pingback: turbostaat « se_fotos

  • 18. Dezember 2009 um 14:12 Uhr
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    Juchuu, eigentlich wollte ich diesen Bericht abliefern aber mangels Kameramann/frau habe ich darauf verzichten müssen, immerhin kommt von Dir die Lobhuldigung! Danke dafür und auch dafür, dass Du diesen Tomte-Kettcar-und wie sie alle heissen-Langweilern eins auf den nicht vorhandenen Sack gibst, Punk rockt und Indie halt nicht, „so ist das wohl, so ist das“!!. Saugeiles Konzert haben die Jungs gestern (wieder einmal) dargeboten, wenn ich etwas zu bemängeln hätte, weil es mir schon beim letzten Konzert aufgefallen ist, sie könnten durchaus lauter spielen. „Wenn das Jahr vergeht und nichts passiert, der Strom ausfällt und das Licht ausgeht, das ertrage ich-doch eines nicht: DU SOLLST MICH NICHT ROBOTER NENNEN!!“

  • 18. Dezember 2009 um 15:11 Uhr
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    Was ein großartiger Abschluß eines großartigen Konzertjahres. Genau das gleiche Fazit, da eben eine der besten (Punk-)Rockbands des Landes gesehen zu haben hab ich gestern direkt nach dem Konzert auch gezogen.

  • 18. Dezember 2009 um 15:17 Uhr
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    Yeah, eines der Konzerthighlights des Jahre. Definitiv.
    Danke für die schöne review und die super Photos :)

  • 23. Dezember 2009 um 15:54 Uhr
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    die können rocken, die Jungs! Die Vorband fand ich leider nicht so den Hit. Aber Turbostaat haben das alles rausgerissen!
    Bin mal gespannt, ob die „Pop Freaks“ im Merlin einen adäquaten Konzert-Start in das neue Jahr bieten. ;~)

  • 29. Dezember 2009 um 08:56 Uhr
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    Dann gebe ich den Kritiker (sorry, wurde so verlangt): Vor lauter „irgendwie“-Unsicherheiten und „absolut“-Superlativen und äußerst seltsamen Beschreibungen („man merkt intuitiv“ – ja, genau, wie auch sonst?) liest sich der Bericht wie ein Schulaufsatz … ob der Band damit ein Gefallen getan wurde? :)

    Gruß …

    Jo

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