DEPECHE MODE, 08.11.2009, Schleyerhalle, Stuttgart

Depeche Mode

Foto: Steffen Schmid

Ausgerechnet an einem Sonntag. An dem das Publikum sonst eigentlich anderes gewöhnt ist. Die rund 13000 Fans – die wohl grob den Jahrgängen 1960 bis 1974 zuzuordnen sind – schlafen um diese Uhrzeit schon mal vor dem Tatort und dem Bügelwäscheberg ein. Heute aber wird das Glitzerkleidchen übergestreift und die olle Lederjacke ausgepackt, auf die man irgendwann Ende der 80er „DM“ mit weißer Farbe gepinselt hat. Mit einem Drogeriemarkt wurde diese Abkürzung schließlich noch nicht in Verbindung gebracht. Wenn Depeche Mode auf Tour sind, sind alle wieder richtig Fan und bekommen glasige Augen. Der gute Reiner Pfisterer, der schon alle Bands der Welt fotografiert hat, ist auch da. Und hat seit 1982 jede DM-Tour gesehen. Nur für den Depeche-Mode-Auftritt im Oz anno dazumal hat das Taschengeld für das S-Bahn-Ticket zum Hauptbahnhof noch nicht gereicht.

Depeche Mode sind seit vielen Jahren aber nun mal Stadien- und Schleyerhallenliga. Zurecht. Und heute kann der geneigte Fan immerhin sein schniekes Iphone in die Höhe halten, um für die Facebook-Freunde festzuhalten, unter welchem Getöse die Band nacheinander auf die Bühne spaziert. Andrew Fletcher, Martin Gore – und als Letzter natürlich: Dave Gahan, den man gut und gerne als Rampensau bezeichnen darf.

Depeche Mode kennt die Gebote, wie ein perfektes Popkonzerterlebnis im Jahr 2009 zu funktionieren hat. Und heute passiert auch kein Fauxpas. „Vielen Dank, Chile“, soll Gahan jüngst in Lima, der Hauptstadt Perus, gesagt haben. Was die Band selbst aber gleich dementierte. „Good Evening Stuttgart“, sagt Gahan nach drei Songs und wird ganz euphorisiert empfangen. Das Stuttgarter Konzert der „Tour of the Universe“ zeigt mal wieder: Du sollst keine anderen Bands neben uns haben. Depeche Mode sind sich selbst das oberste Gebot. Mit „In Chains“ geht es vergleichsweise behäbig los. Gahan selbst scheint noch ein wenig in Ketten gelegt, schmeißt aber schon beim zweiten Song „Wrong“ sein Jackett zur Seite und gibt den wohl bestgelaunten Schmerzensmann im Pop.

Hier steht eine Band auf der Bühne, die live durch zwei Musiker verstärkt wird, die die Gebote der Popkonzerte aus dem Effeff beherrscht. Vor allem: Du sollst nicht langweilen. Und: Stelle bei all‘ dem technischen Tamtam und Gegockele deines Frontmanns auch immer die Musik in den Vordergrund. „Words are very unnecessary“, singt der Dave mit seinen 13 000 Jüngern. „Enjoy The Silence“ ist eines der alten Stücke, die – wie alle anderen Songs auch – hier in der Schleyerhalle einfach alle mitsingen können. Wort für Wort, Zeile für Zeile. Und noch ein Gebot: Binde dein Publikum mit ein in das Konzerterlebnis. Bei „Walking In My Shoes“ überlässt Gahan den Fans den Refrain. Und auch Gore, mit dem er oft schon im Zwist lag und heute Rücken an Rücken tanzt, darf für ein paar Songs solo ran. Auf den Tribünen sitzt keiner mehr. Und selbst Menschen, die man sehr oft bei Konzerten trifft, aber noch nie tanzen gesehen hat, schwofen mit.

Depeche Mode

Foto: Steffen Schmid

Öffentliches Leiden und jede Menge Weltschmerz waren noch nie schöner anzuhören. Und natürlich anzuschauen. Gahan ist ein Derwisch, der über die Bühne fegt. Einer, der mit dem Mikroständer wilde Pirouetten tanzt. Und der auch mal dem Publikum sein kokett wackelndes Hinterteil präsentiert. Sein kongenialer Partner Martin Gore hat viel Glitzer aufgetragen. Denn: Inszeniere dich als Gesamtkunstwerk, könnte auch noch in ihrem Regelwerk stehen. Dazu wird die Bühne mal in rotes Licht getüncht, sind die kunstvollen Videoclips perfekt ins Bühnenbild integriert, ein Auge blickt hinunter auf die Band, und bei „Policy Of Truth“ geht ein Blitzlichtgewitter los.

Nach zwei sehr kurzweiligen Stunden dann als letzte Zugabe spielt Depeche Mode „Personal Jesus“. Der singende Prediger des Abends hat schwarz geschminkte Augen, streckt die Arme seitlich weg, schreitet hinaus auf den Steg, als wolle er es allen zeigen und sagen: „Seht her, ich bin euer Personal Jesus.“ Ja, das Etikett der Rampensau passt perfekt.

18 Gedanken zu „DEPECHE MODE, 08.11.2009, Schleyerhalle, Stuttgart

  • 9. November 2009 um 15:38 Uhr
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    DM im OZ, ich glaube es ja nicht. Da könnte doch unser Walter gewesen sein…

    Die Vorband war gestern auch klasse, Lanegan hat sauber abgeliefert.

  • 9. November 2009 um 19:26 Uhr
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    Sehr geil sehr geil. Da wird man ja richtig neidisch dass man nicht da war. Zum Glück hab ich die Jungs schon im Juni in München gesehen…
    und wie immer, geile Bilder!

  • 9. November 2009 um 20:24 Uhr
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    @Toxic: Das kann gar nicht sein, dass Walter dort gewesen ist, so jung wie der ist.

  • 9. November 2009 um 22:53 Uhr
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    also walter sollte um die zeit definitiv schon im bett sein. und spitzen-job wieder gemacht anja! du bist echt unser profi im team. tipptopp.

  • 9. November 2009 um 23:14 Uhr
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    ich übernehm mal wieder den Schmoudi Lob-Part und zitiere Toxic: Die Fotos sehen besser und schärfer aus als das reale Leben.

    Morgen dann Bericht von Super-Emo Setzer über Placebo, I like!!

  • 10. November 2009 um 09:19 Uhr
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    also der bams meinte, die vorband war ne katastrophe…

  • 10. November 2009 um 10:14 Uhr
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    @ram: klingt ja nach einer Auszeichnung; gleich mal die Platte ungehört kaufen.

  • 10. November 2009 um 11:43 Uhr
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    Schön „reinfühlermöglichend“ geschrieben, liebe Anja. Ich hab nur eine Frage: bin ich zu jung oder habe ich null Musikgeschmack, als dass ich den Depeche Mode (und U2) Hype verstehen könnte? Diese Frage quält mich schon seit langem…

  • 10. November 2009 um 19:21 Uhr
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    @Regine: Huihuihui: U2 und DM in einen Topf? Das könnte böse Kommentare mit sich ziehen;) Und ja: Du bist zu jung. Sei froh!

  • 11. November 2009 um 10:47 Uhr
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    Ich breche jetzt nochmal eine Lanze für Mark Lanegan, auch um zu zeigen, dass „Bams“ umgerechnet nicht ein Mikrogramm Ahnung haben kann.
    Das Video ist jetzt eher ganz low Budget, sieht aus als wäre es zwischen dem Hauptbahnhof und der Röhre während der „Buggblegum-Tour“ in 2 Stunden abgefilmt worden. Dieses Stück hat er am Sonntag auch gespielt:
    https://www.youtube.com/watch?v=_xMvw9lCOBw

  • 14. November 2009 um 00:40 Uhr
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    sehr schöne Bilder … weiter so

    gruß @all DM Fan´s

    Aachen d. 13.11.2009

  • 14. November 2009 um 12:50 Uhr
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    @anja und REGINE….so hier kommen jetzt die von anja angesprochenen „bösen Kommentare“:
    REGINE bist Du des Wahnsinns DM und U2 in einen Topf zu werfen…keine Sorge ich lästere jetzt nicht in Internetmanier – ich mag U2 eben nicht, aber Geschmack ist subjektiv. Eines haben DM und U2 doch gemeinsam – Sie sind seit Jahrzehnten auf der Bühne – sie waren mal Hype, bzw. „Boybands“ – aber nun sind sie eine Institution. Die Musik ist handgemacht und das macht den Unterschied…sieh Dir Take That u.ä. an, solche Bands waren ein Hype, aber ich bin mir sehr sicher, dass die in 25 Jahren keine Schleyerhalle füllen…
    man möge mich jetzt steinigen – auch wenn ich mit der Musik nichts anfangen kann, denke ich dass z.B. Tokio Hotel – im Moment Hype – Potential hat auch in 25-30 Jahren noch Hallen zu füllen!
    Morgen kommt auf Kabel eins NUMBER ONE mit einem Portät über DM – ca. 13:00 – schau Dir das an und vergleiche mit den wirklichen -Hypebands…dann wirst Du den unterscheid erkennen!
    Das Konzert war der Hammer und das Beste, was ich jemals gesehen habe und der Blog hier ist auch sehr gut geschrieben!
    Marko

  • 20. Dezember 2009 um 19:45 Uhr
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    das muss doch nicht sein !! oder ?

  • 21. Februar 2010 um 03:45 Uhr
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    U2 und Depeche Mode liegen imo in der Tat ein ganzes Stück auseinander, da kann ich so leicht keine Parallelen ziehen ;-)

    @Steffen: Klasse Konzertfotos! Besonders das erste Bild von Dave gefällt mir sehr gut.

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