STREET DOGS + CIVET + FREIBoiTER, 25.10.2009, 1210, Stuttgart

Street Dogs

Fotos: Steffen Schmid

Wenn mir heute eines klar wird, dann wohl, dass Sonntag Abende nicht wirklich prädestiniert sind für Punkrockshows. Da können die noch so gut sein, aber mit dem Restrausch des Wochenendes in den Knochen und der Aussicht darauf, dass man schon wenige Stunden später mit verquollenen Augen seinen Wecker ausdrückt und sich auf den Weg zur Arbeit macht, schwingt sich das Tanzbein nicht ganz so flott wie noch einen Tag zuvor.

Freiboiter

Foto: Steffen Schmid

Als Erstes bekommen das heut die Stuttgarter Streetpunker Freiboiter zu spüren. An denen liegt es sicher nicht, dass das noch nicht ganz gefüllte Zwölfzehn sich schwer tut in Stimmung zu kommen. Frontmann und Rampensau Korbi läuft wie gewohnt zu Hochform auf. Wie ein Derwisch brüllt er, kickt, springt herum und landet im Spagat. Das Publikum quittiert’s mit Anerkennung, aber da wo sonst im Schubskreis um die Unversehrtheit von Leib und Leben gefürchtet werden muss, wird heute ganz ohne Beinarbeit lässig mitgewippt. Die Freiboiter sehen das gelassen und hauen ein Brett nach dem anderen raus. „Antifascist Oi“ nennen sie ihren Streetpunk der schnell und hart nach vorne geht und sich prima zum Migröhlen eignet. Und dann, ironischerweise ausgerechnet beim Fußball-Song „We’re the boys“, bringen die sich zum derzeit extrem glücklosen VfB Stuttgart bekennenden Lokalmatadoren doch noch ein paar Punkrockfans in Schubs- und Rempelstimmung. Aber irgendwie auch eher locker beschwingt und mit angezogener Handbremse.

Civet

Foto: Steffen Schmid

Als dann Civet die Bühne betreten, ist das Zwölfzehn schon besser gefüllt. Und vor allem die männlichen Gäste wissen schon vor dem ersten Ton, dass das eine richtig knorke Show werden wird. Denn die vier tätowierten Punkrockerinnen aus L.A. sind alles andere als unansehnlich. „Die sind doch gecastet“, sagt einer neben mir. „Die sehen zu gut aus für Punkrock. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“ Irgendwie hat er Recht. Angeblich sind die vier Drive-In-Kellnerinnen gewesen, bevor sie beschlossen haben, ihren musikalischen Helden Rancid, Murder City Devils und Motörhead nachzueifern. Klingt wie am Flipchart entworfen. Doch schon beim Opener wird klar, dass der Typ neben mir Unrecht hat. Die vier Damen sind nicht nur charmant, sondern auch hart und schnell. Und so langsam kommt dann auch das Publikum in Wallung. Der Schubskreis wird größer, zur Decke gereckte Fäuste versperren mir die Sicht auf die attraktiven Protagonistinnen und es wird lauthals mitgegröhlt (einmal sogar im Kanon mit der Gitarristin). Femme Fatal Punkrock steht auf der hübschen Verpackung und Femme Fatal Punkrock ist auch drin. Später werden die Damen dann noch recht häufig am Merchandise-Stand fotografiert werden. Nur wegen ihrer Musik. Natürlich.

Street Dogs

Foto: Steffen Schmid

Die Freiboiter und Civet haben die Drecksarbeit erledigt und das Publikum locker gemacht. Jetzt kann es losgehen. Die Kür. Die Street Dogs geben sich die Ehre. Mit Sänger Mike McColgan betritt einer die Bühne, der weiß wie man die Meute zum Kochen bringt. Auch an einem Sonntagabend.
Der Ex-Sänger der Dropkick Murphys liefert vom ersten Ton an eine Punkrockshow ab, die sich gewaschen hat. Es dauert gefühlte 3 Sekunden, bis auch der Letzte im Laden mit einem Lächeln im Gesicht zumindest den Kopf hin und her wirft. Die anderen werfen Fäuste, Beine und ihre ganzen verschwitzten Körper hinterher. Mike McColgan und seine Jungs aus Boston haben Spaß, das sieht man. Der charismatische Frontmann schüttet sein Bier in die Menge, crowdsurft zur Bar, rockt auf dem Tresen stehend und Scherben fabrizierend weiter und dived zurück in die Menge, die ihn begeistert zurück auf die Bühne trägt. Das ist richtig guter und ehrlicher Punkrock. Die Irish Folk-Einflüsse sind nicht mehr ganz so rauszuhören wie bei den Dropkick Murphys, sind aber immer noch da. Die ein oder andere Coverversion von Hardcore-Größen wie Madball lässt den Circle Pit dann richtig ausflippen und der ein oder andere nützt die Gelegenheit zum Sprung von der Bühne. Mike McColgan erinnert mit „I remember you“ an verstorbene Freunde, preist mit „There is power in a union“ die Vorzüge von Gewerkschaften an und zollt uns immer wieder seinen Respekt. Politisch korrekt und immer sowas von sympathisch. Eine Mitgröhlhymne jagt die nächste. Und mittendrin in der freudigen Punkrock-Ekstase erinnert mich ausgerechnet der Streetdogs-Frontmann persönlich an meinen Wecker morgen früh. Als er mit verzücktem Lächeln die Party beobachtet, die er angezettelt hat, rutscht es ihm raus: „It’s Sunday, don’t you have jobs?“ Als der denkwürdige Abend dann nach ein paar Zugaben endet, strahlen verzückte Fans verschwitzt um die Wette. Die Streetdogs sind live eine Nummer für sich. Sollte man mal gesehen haben. Da führt kein Weg dran vorbei. Selbst an einem Sonntag.

Street Dogs

Civet

Freiboiter

8 Gedanken zu „STREET DOGS + CIVET + FREIBoiTER, 25.10.2009, 1210, Stuttgart

  • 26. Oktober 2009 um 18:56 Uhr
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    gut, dass ich nicht dabei war, aber sehr gut, sowas zu lesen. Geiler Bericht!

  • 26. Oktober 2009 um 20:35 Uhr
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    ok, bin anderer meinung und ich muss sie loswerden!
    ich fand die ersten zwei bands aus diesen oder jenen gründen durchaus sehens- und hörenswert, aber sorry, das vermeintliche charisma von streetdogs frontmann ging völlig an mir vorüber und sympathisch fand ich ihn auch erst -annähernd- als er nach der show mit den blinden zwillingen mit den punkrock-shirts aus der ersten reihe ne viertelstunde lang geplaudert und artig alle fragen nach seinen persönlichen lieblingssongs beantwortet hat. auf mich wirkte er eher wie ein routinierter punkrocker der weiß was er wann zu sagen und zu machen hat, stichwort automatismen (aber: ich kann dem sich-der-stadt-in-der-man-spielt-anbiedern ja durchaus was abgewinnen, wegen mir ist das auch ein MUST-DO als nicht-ansässiger frontmann einer combo auf tour, aber in jedem zweiten song, in jeder zweiten zeile STUTTGART! mit einfließen zu lassen, is echt ein bissle zuviel für meinen geschmack), außerdem hatte ich das gefühl dass er einen kleinen komplex mit sich rumschleppt, insofern dass er lieber in einem arbeiterviertel in england geboren worden wäre als als us-amerikanischer bürger (aber vielleicht verstehe ich das genre folkpunk auch einfach nicht). hm, vielleicht lags nur an meiner persönlichen sonntagabend-stimmung dass mike mccolgan keine punkte bei mir machen konnte, ich wusste ja dass ich ein paar stunden später wieder zu meiner absolut unpunkigen arbeit marschieren musste (und nein, ich bin nichtmal in der gewerkschaft. damn shit!). und trotzdem hatte ich spaß gestern abend im 1210 ;)

  • 27. Oktober 2009 um 09:46 Uhr
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    Ich mag immerhin die Bilder :)

  • 27. Oktober 2009 um 10:55 Uhr
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    die bilder find ich auch super! das review des konzertes auch. es ging mir nicht drum die gig-blogger zu dissen, sondern einzig und allein meinen unmut gegenüber mike mccolgan und seiner bühnenperformance zu äußern…

  • 27. Oktober 2009 um 10:56 Uhr
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    So hab ich das auch nicht aufgefasst! Ich denke, da haben wir uns mißverstanden.

  • 27. Oktober 2009 um 11:07 Uhr
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    hach, na dann is ja alles gut und wir sind dem absoluten weltfrieden wieder n stück näher gekommen ;)

  • 30. Oktober 2009 um 22:02 Uhr
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    hm also ich fand mike maccolgan hammermäßig und meines erachtens von automatismen keine spur… kam mir alles sehr ehrlich rüber und er hatte zusammen mit der meute absolut seinen spaß.

    mir kams eher so vor als wäre er (und der rest der band) erstaunt dass da soviel abgeht am sonntag abend in nem kleinen schuppen irgendwo in mitteleuropa…

    whatever.. für mich 10 pluspunkte für den mann!

    ps: bericht is supi, aber WAS FÜR MADBALL-COVERS SOLLEN DIE GESPIELT HABEN??? die ham vllt n altes dropkick lied gecovert, welches ja allerdings von ihm selber damals geschreiben wurde.

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